Die STYLE DEFINERY KOLUMNE -
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Foto: Werbung via Instagram
Nicht das Leben ist eine Bitch, sondern der Algorithmus. Obwohl ich mich aktiv nicht darum bemüht, sprich nicht explizit danach gegoogelt habe, wird mein Instagram-Account seit Wochen und Monaten mit Werbeanzeigen zum Thema “Wall Pilates”, “Intervallfasten ab 50” und “Genuss ohne Reue” geflutet. Schönen Dank auch! Ich weiß selbst, dass es wichtig und gesund ist, sich ausreichend zu bewegen, auf eine ausgewogene Ernährung zu achten und es mit dem Alkohol nicht zu übertreiben. Aber möchte ich 24/7 diesbezüglich belehrt werden? Nein, das möchte ich nicht. Offenbar kann ich der digitalen Bevormundung aber nur entgehen, wenn ich offline bin bzw. meine Zeit auf Insta und Co. deutlich einschränke. Das wiederum bestraft der Algorithmus jedoch umgehend dadurch, dass mein Social Media Ranking, von dem ich beruflich sehr viel abhängiger bin als mir lieb ist, komplett in den Keller rauscht. Es heißt also, das kleinere der beiden Übel zu wählen (in diesem Fall die Belehrungen), zumindest so lange, bis ich wieder eine Pause brauche, weil ich sonst das Gefühl habe, verrückt zu werden.
Keine Ahnung, ob es an meinem Alter liegt, aber die sozialen Medien und die damit verbundene Selbstvermarktung stressen mich ungeheuer und haben mir schon viele schlaflose Nächte beschert. Das, was meinen Kindern noch leichter von der Hand geht als das tägliche Zähneputzen, bereitet mir wirklich viel Mühe. Laut Media-Experten muss ein kleines Business wie das meinige unentwegt neuen Content in Form von Reels, Stories und Live-Videos produzieren, um zumindest einen Hauch medialer Aufmerksamkeit zu bekommen und dadurch neue Follower zu generieren, ohne die es nun mal nicht geht. Ich schaffe das aber nicht, weil ich einfach zu lange für alles brauche. Das mag meinem Anspruch geschuldet sein, alles perfekt machen zu wollen. Mut zur Lücke kann ich irgendwie nicht, zumindest nicht online. Wenn ich sehe, wie großartig und professionell das immer bei anderen aussieht, würde ich mich am liebsten umgehend vom Schreibtisch zurück ins Bett begeben und mir die Decke über den Kopf ziehen. Aber selbst dort bin ich nicht sicher, ganz im Gegenteil. Wenn ich mich drücke, lauert sofort das Gespenst namens schlechtes Gewissen
um die Ecke und der Algorithmus verschärft den Ton in Form von Werbeanzeigen für Apps gegen Prokrastination, Bewältigungsstrategien für ADHS-Patienten und Hashtag-Experten, die mir auf meinem kleinen Handyscreen versichern, sie seien die einzigen, die meiner Social-Media-Inkompetenz ein Ende bereiten können. Dazwischen ploppen Accounts von AI-Profis auf, die die perfekten Prompts für ChatGPT versprechen und mich in meinem Gefühl bestätigen, irgendwie zu alt und zu analog zu sein für dieses ganze Getöse. Und sowieso: Wann soll ich das denn bitte alles machen? Je mehr ich mich mit Optimierungsstrategien beschäftige, desto weniger Zeit habe ich für all die vielen Dinge, um die ich mich neben Insta auch noch kümmern muss, um nicht nur mein Geschäft erfolgreich zu betreiben, sondern irgendwie auch noch den Rest meines Lebens zu managen.
Vor ein paar Tagen beschloss ich deshalb, für ein verlängertes Wochenende die Notbremse zu ziehen und einfach mal auszuchecken. Nicht always on zu sein, sondern ein kleines Google-, Insta- und Co. - Detoxprogramm einzuschieben, um mal wieder ein bisschen mehr Anja zu spüren und weniger Style Definery. Manchmal muss der Job Fernbeziehung-Charakter haben. Wenn man sich nicht ständig sieht, freut man sich umso mehr aufeinander. Natürlich findet einen der Algorithmus auch in Südspanien im Liegestuhl, ebenso wie mich meine “Freunde” von DHL, die in meinen persönlichen Schurken-Top-Ten aktuell ganz oben auf Platz 1 rangieren, auch 2351 km von zuhause kein bisschen weniger ärgern als in Frankfurt. Trotzdem tut so eine kleine Auszeit ungeheuer gut, um den inneren Kompass neu zu kalibrieren. Wenn ich abends mit meinem fabelhaften Rosé von Aldi in die Sterne schaue und das Meer rauschen höre, ist Social Media so weit weg von mir wie die Style Definery vom Börsengang. Das dazugehörige Gefühl? Priceless! Gibt's im Übrigen auch in heimatlichen Gefilden. Man muss sich nur trauen, danach zu suchen und dem Algorithmus solange die kalte Schulter zu zeigen.
Euch eine wunderschöne Woche.
LOVE, Anja