Die STYLE DEFINERY KOLUMNE -
ab sofort jeden Montag zum ersten Kaffee ☕️
Manchmal denke ich, ich habe ADHS. Keine Ahnung, ob es an Social Media, dem Internet im Allgemeinen, an Netflix, Amazon und Apple TV liegt, am Alter, an den vielen verschiedenen Aufgaben, die die Style Definery täglich mit sich bringt, an zu vielen Selbstoptimierungs-Apps und zu wenig Bewegung - aber meine durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne liegt inzwischen ganz eindeutig unter der eines Goldfischs. Letzterer schafft es laut einer Studie aus dem Jahr 2015 immerhin ganze neun Sekunden, sich voll und ganz auf eine Sache zu konzentrieren, bei mir dürfte es da schon eng werden. Meine Gedanken rasen kreuz und quer, hoch und runter, springen von recht nach links und dann wieder zurück in die Mitte. In meinem Kopf herrscht eine größere Unordnung als in einem Dreibettzimmer im Internat meines Sohnes. Während des Schreibens dieser Kolumne habe ich mein Bett frisch bezogen, Spaghetti mit Pesto gekocht, die Kartusche meines Brita-Wasserfilters ausgewechselt, Schwimmschuhe bei Amazon bestellt, weil ich nächste Woche auf Hydra eingeladen bin und mich plötzlich daran erinnert habe, dass in den vielen Emails bezüglich der Planung und des Programms irgendwo irgendwas davon stand, dass man an einem Tag Schwimmschuhe braucht. Danach schaute ich mir auf Youtube Videos von Hydra an, weil ich zwar schon oft in Griechenland war, aber eben noch nie auf Hydra. Dann fiel mir ein, dass ich in meiner Kolumne ja eigentlich etwas über meine Liebe zu Nescafé schreiben wollte, also machte ich mir erstmal einen Nescafé und aß ein Stück Schokolade, was mich wiederum daran erinnerte, dass ich mir jetzt wirklich endlich mal die Wall-Pilates-App runterladen sollte, denn von nichts kommt bekanntlich nichts. Danach schaute ich auf Google Maps, wo in meiner Nähe eine Kirche ist, denn als ich heute morgen aufwachte, hörte ich zum ersten Mal, seit ich in meiner jetzigen Wohnung wohne, Glockengeläut. Eine Kirche fand ich nicht, nur die Synagoge bei mir um die Ecke, und mir wurde klar, dass ich im Grunde viel zu wenig weiß über Synagogen und darüber, ob dort auch Glocken geläutet werden. Als ich mit meiner diesbezüglichen Recherche fertig war, war mein Kaffee kalt und die Kolumne immer noch nicht existent, was wiederum zu der Erkenntnis führte, dass ich, wenn ich so weiter mache, dem Anspruch, mit dem ich bezüglich meiner Kolumne angetreten bin, niemals gerecht werde. Was ich liefern wollte, waren „kreative Style-Guides, exklusive Einblicke in die Welt des nachhaltigen Luxus, inspirierende und manchmal auch tragikomische Geschichten aus meinem Alltag, köstliche kulinarische Entdeckungen und persönliche Film- und Buchempfehlungen“ - so steht es zumindest auf der Website geschrieben. Weil ich mich aber nicht entscheiden konnte, was ich davon als erstes thematisieren soll, ging ich erstmal ins Bad und schmierte mir eine Gesichtsmaske von Sisley ins Gesicht, die „Instant Youth“ versprach. Im Schrank fand ich eine Overnight-Rescue-Maske für die Haare, welche nach meiner Rückkehr aus Andalusien dringender Pflege benötigen. Und da ich nun schon mal im Bad stand, beschloss ich, mir noch schnell meine Nägel zu lackieren, denn die sahen fast genauso ramponiert aus wie meine Haarspitzen.
Danach setzte ich mich wieder an meinen Laptop und entschied, doch noch etwas über meinen geliebten Nescafé zu schreiben, auch wenn das für 90% aller Menschen nicht wirklich unter die Rubrik „köstliche kulinarische Entdeckungen“ fällt. Das Gegenteil ist der Fall. Instantkaffee hat in etwa das gleiche Standing wie Ravioli aus der Dose. Ich aber liebe ihn und kann mir einen Morgen ohne gar nicht vorstellen. Tatsächlich trinke ich lieber gar keinen Kaffee als eine Tasse Kaffee aus der Nespressomaschine oder, schlimmer noch, einen Filterkaffee, der schon ein paar Stunden auf der Heizplatte hinter sich hat. Nescafé ist immer frisch und geht schnell. Kein stundenlanges Aufwärmen der Siebträgermaschine, keine komplizierten Programmierungsprozesse am Jura-Display, keine plötzliche Aufforderung zum Entkalken der Maschine, wenn man doch einfach nur in Ruhe und entspannt in den Tag starten möchte. Außerdem hat der Pulverkaffee einen hohen emotionalen Wert für mich. Er weckt Kindheitserinnerungen an laue Sommertage, in denen mein Bruder und ich mit meiner Mutter Unmengen an Vanilleeis verspeisten. Meine Mutter streute über ihre Kugeln immer Nescafé, was eine köstliche Melange ergab. Wenn wir Kinder allein waren oder unsere Eltern nicht aufpassten, machten wir uns heimlich diesen „Eiscafé für Arme“, denn eigentlich waren wir natürlich noch viel zu jung für Kaffee. Wir fühlten uns dann ungeheuer erwachsen und sophisticated und stellten uns vor, auf unserem Koffeintrip ganze Nächte ohne Schlaf durchhalten zu können. Letzteres ist heute völlig illusorisch, deshalb ist die Erinnerung umso süßer.
Als meine älteste Tochter 2012 schwer erkrankte und wir für viele Monate am Stück ins Krankenhaus ziehen mussten, war der erste Nescafé am Morgen wie ein Ritual. Inmitten des ganzen Klinikgetöses aus piepsenden Infusionsständern und Überwachungsgeräten aller Art, zwischen Unmengen von Untersuchungen und Eingriffen und einem ewigen Hin und Her zwischen Hoffen und Bangen war die erste Tasse Kaffee am frühen Morgen so etwas wie eine winzig kleine Insel, auf der ich ganz allein war. Ich saß auf meinem Liegestuhl und bereitete mich gedanklich auf den neuen Tag vor, schaute meiner Tochter beim Schlafen zu und freute mich, dass eine weitere Nacht überstanden war. Der Kaffee schmeckte nach Frieden und Dankbarkeit, nach Hoffnung und nach Trost - und das tut er für mich bis heute. Nescafé ist für mich wie der Mann, den ich liebe, wie „Sex and the City“, Schwimmen im Meer, Berlin im Sommer und mein uralter, aber heiß geliebter Blazer von Vanessa Bruno - eine Liebe, ein Lebensgefühl, ein Moment mit Glücksgarantie. Und davon gibt es ja sonst gar nicht so viele. Vielleicht noch Pommes mit Salat. Aber über diese kulinarische Amour fou schreibe ich ein andermal.
Euch einen wunderschönen Start in die neue Woche,
LOVE, Anja